Mesut:
ich war und ich bin ein großer Fan.
Aus vielerlei Gründen.
Aber ich kann es verstehen.
Schade. Traurig.
Ein schlechter Tag für Deutschland und für die Türkei.
Und für viele Andere.
Ich habe gehofft, du würdest das durchstehen und vielleicht dadurch weiterhin ein leuchtendes Zeichen für tausende von jungen deutschen Türken und jungen türkischen Deutschen sein.
p.s. Die Mannschaft wird, unter solchen Voraussetzungen, in absehbarer Zeit, keinen Titel mehr gewinnen - soweit die Prognose. Deutschland - in der derzeitigen gesellschaftlichen Verfassung - sowieso nicht.
Und hier die Erklärung im Wortlaut:
Mesut Özil hat in einem Statement seinen Rücktritt
aus der Nationalmannschaft erklärt und DFB-Präsident Reinhard Grindel
Rassismus vorgeworfen. Seine Rücktritts-Erklärung in der deutschen
Übersetzung (quelle: SZ)
"Die Sache, die mich wahrscheinlich am meisten in den vergangenen
Monaten frustriert hat, war die schlechte Behandlung durch den DFB und
vor allem durch den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel.
Nach meinem Bild mit Präsident Erdoğan wurde ich von Joachim Löw
gebeten, meinen Urlaub zu verkürzen, nach Berlin zu reisen und ein
gemeinsames Statement abzugeben, um alle Diskussionen zu beenden und die
Sache richtig zu stellen. Als ich Grindel mein Erbe, meine Vorfahren
und die daraus entstandenen Gründe für das Foto zu erklären versuchte,
war er viel mehr daran interessiert, über seine eigenen politischen
Ansichten zu sprechen und meine Meinung herabzusetzen.
Während seine Handlungen herablassend waren, haben wir
beschlossen, dass es das Beste wäre, sich auf den Fußball und die
kommende Weltmeisterschaft zu konzentrieren. Das ist der Grund, warum
ich nicht am DFB-Medientag während der WM-Vorbereitung anwesend war. Ich
wusste, dass Journalisten, die über Politik und nicht Fußball berichten
würden, mich nur attackiert hätten, obwohl die ganze Sache nach dem
TV-Interview von Oliver Bierhoff vor dem Spiel gegen Saudi-Arabien in
Leverkusen beendet hätte sein sollen.
Während dieser Zeit habe ich auch den Bundespräsidenten,
Frank-Walter Steinmeier, getroffen. Im Gegensatz zu Grindel war
Präsident Steinmeier professionell und wirklich interessiert, was ich
über meine Familie, meine Herkunft und meine Entscheidungen zu sagen
hatte. Ich erinnere mich, dass das Treffen nur zwischen mir, Ilkay und
Präsident Steinmeier stattfand, Grindel war verärgert, dass er nicht
dabei sein durfte, um seine eigene politische Karriere zu forcieren. Ich
hatte mit Präsident Steinmeier vereinbart, ein gemeinsames Statement zu
diesem Thema zu veröffentlichen, ein weiterer Versuch, um voranzukommen
und uns auf Fußball zu konzentrieren. Aber Grindel war verärgert, dass
es nicht sein Team war, das das erste Statement veröffentlicht hatte, er
war verärgert, dass die Presseabteilung Steinmeiers in dieser Sache die
Führung übernommen hat.
Seit dem Ende der Weltmeisterschaft ist Grindel wegen seiner
Entscheidungen vor Turnierbeginn unter starken Druck geraten und das
zurecht. Zuletzt hat er öffentlich gesagt, dass ich noch einmal meine
Handlungen erklären solle und gibt mir die Schuld für die schwachen
Ergebnisse in Russland, obwohl er mir in Berlin gesagt hat, dass es
erledigt sei.
Ich spreche jetzt nicht wegen Grindel, sondern weil ich es will.
Ich werde nicht länger als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz und
seine Unfähigkeit, seinen Job ordentlich zu erledigen. Ich weiß, dass er
mich nach dem Foto aus dem Team haben wollte und seine Ansicht bei
Twitter ohne Nachdenken oder Absprache veröffentlicht hat, aber Joachim
Löw und Oliver Bierhoff haben sich für mich eingesetzt und mich
unterstützt. In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich
Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren.
Obwohl ich Steuern in Deutschland bezahle, Einrichtungen für deutsche Schulen spende und die Weltmeisterschaft 2014
mit Deutschland gewonnen habe, bin ich noch immer nicht in der
Gesellschaft akzeptiert. Ich werde behandelt, als wäre ich 'anders'. Ich
wurde mit dem 'Bambi' 2010 als Beispiel für erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft ausgezeichnet, 2014 erhielt ich das 'Silberne Lorbeerblatt' von der Bundesrepublik Deutschland und ich war der 'Deutsche Fußball Botschafter' 2015. Aber ganz klar, ich bin kein Deutscher...?
Gibt es Kriterien, ein vollwertiger Deutscher zu sein, die ich
nicht erfülle? Meine Freunde Lukas Podolski und Miroslav Klose werden
nie als Deutsch-Polen bezeichnet, also warum bin ich Deutsch-Türke? Ist
es so, weil es die Türkei ist? Ist es so, weil ich ein Muslim bin? Ich
denke, hier handelt es sich um eine wichtige Sache. Indem man als
Deutsch-Türke bezeichnet wird, werden Menschen bereits unterschieden,
die Familie in mehr als einem Land besitzen. Ich wurde in Deutschland
geboren und ausgebildet, also warum akzeptieren die Leute nicht, dass
ich Deutscher bin?
Grindels Meinungen können auch an anderen Stellen gefunden
werden. Ich wurde von Bernd Holzhauer (ein deutscher Politiker) als
'Ziegenficker' wegen meines Bildes mit Präsident Erdoğan und meines
türkischen Hintergrundes bezeichnet. Außerdem sagte mir Werner Steer
(Chef des Deutschen Theaters), dass ich mich 'nach Anatolien verpissen
soll', ein Gebiet in der Türkei, aus dem viele Migranten stammen. Wie
ich schon gesagt habe, mich wegen meiner Familien-Abstammung zu
kritisieren und zu beschimpfen, ist eine erbärmliche Linie, die
überschritten wurde, und Diskriminierung als Mittel für politische
Propaganda zu nutzen, ist etwas, das sofort im Rücktritt dieser
respektlosen Individuen resultieren sollte.
Reinhard Grindel, ich bin sehr enttäuscht, aber nicht überrascht von Ihrem Handeln. 2004,
als Sie Mitglied des Bundestages waren, haben Sie behauptet, dass
'Multikulturalität ein Mythos und eine lebenslange Lüge' sei. Sie haben
gegen Gesetze für Doppel-Nationalitäten und Strafen für Bestechung
gestimmt, und Sie haben gesagt, dass die islamische Kultur in vielen
deutschen Städten zu tief verwurzelt sei. Das ist nicht zu vergessen und
nicht zu verzeihen.
Wegen der Behandlung durch den DFB und viele andere möchte ich
das deutsche Trikot nicht länger tragen. Ich habe das Gefühl, dass ich
nicht gewollt bin und vergessen wurde, was ich seit meinem Debüt 2009
geleistet habe. Leute mit rassendiskriminierendem Hintergrund sollten
nicht im größten Fußball-Verband der Welt arbeiten dürfen, der viele
Spieler mit zwei Heimatländern hat. Solche Einstellungen spiegeln
einfach nicht die Spieler wider, die sie vorgeben zu vertreten.
Schweren Herzens und nach gründlicher Überlegung werde ich wegen der zurückliegenden Vorkommnisse nicht länger für die deutsche Nationalmannschaft
spielen, da ich Rassismus und fehlenden Respekt spüre. Ich habe früher
das deutsche Trikot mit so viel Stolz und Begeisterung getragen, heute
nicht mehr. Es war sehr schwierig, diese Entscheidung zu treffen, da ich
immer alles für meine Teamkollegen, das Trainerteam und die guten
Menschen in Deutschland gegeben habe.
Aber wenn hochrangige DFB-Offizielle mich so behandeln, wie sie
es getan haben, meine türkischen Wurzeln nicht respektieren und mich aus
selbstsüchtigen Gründen für politische Propaganda benutzen, dann ist
genug genug. Dafür spiele ich nicht Fußball, und ich werde mich nicht
zurücklehnen und in dieser Sache nichts tun. Rassismus darf niemals
akzeptiert werden."