USA:Endspiel um Amerika
Kein
Präsident hat die USA in eine derart existenzielle Krise getrieben: Mit
dem Tod George Floyds hat die letzte und entscheidende Phase im Kampf
zwischen Donald Trump und der amerikanischen Demokratie begonnen.
George Floyd
hat die letzte Ruhe gefunden, aber sein Erbe rüttelt die USA gerade
erst auf. Denn sein Tod wird nicht nur als neuerlicher Beleg für
Polizeibrutalität und Rassismus Einzug in eine allemal viel zu lange
Statistik halten. Sondern er ist auch Menetekel für den inneren Zustand
der USA, ein Zeichen für die Explosivität einer gespaltenen,
aufgewiegelten und aggressiven Gesellschaft.
Dieser Zustand ist einem Mann zuzuschreiben: Donald Trump.
Fast schon muss man sich beim Präsidenten bedanken, dass er in den
Kommentaren zum Tod Floyds und in der Reaktion auf die Proteste seine
schlimmsten Eigenschaften ungebremst zur Schau gestellt hat. Der Aufruf
zur Mobilisierung des Militärs, der Truppenaufmarsch in der Hauptstadt,
der kaum verbrämte Rassismus, die Aufwiegelung und Instrumentalisierung
der Justiz: Kein Mensch kann noch Zweifel haben, worüber am 3. November
in den USA abgestimmt wird. Es geht um den Fortbestand der Demokratie
und die Einheit des Landes. Es geht um Amerikas Ansehen und Einfluss in
der Welt.
Nun beginnt die letzte Phase im Kampf Donald Trumps mit der amerikanischen Demokratie
Die
Demokratie in den USA ist ein starkes Gewächs, so robust, dass sie seit
232 Jahren ohne dramatische Korrekturen am Leben ist. Die USA haben bis
heute keine Diktatur und keinen Faschismus erlebt, sie sind freien
Wahlen und der freien Wirtschaft treu geblieben, sie haben als
gewaltiges Territorium, begünstigt von der Lage zwischen zwei Ozeanen,
Anfeindungen von außen und innen abgewehrt. Politische Exzesse und
Machtmissbrauch an der Spitze haben das System mitunter lädiert, aber
nie zerstört. Die Verfassung gibt dem Präsidenten zwar immense Macht,
aber die Kontrollinstanzen - die Einhegung durch den Kongress, das
Kabinett, die Justiz, die Bürokratie und natürlich die Bürger selbst -
haben in der Regel funktioniert.
Dass
nun ausgerechnet ein intellektuell unterbemittelter Volksverführer dem
Land einen derartigen Schaden zufügen kann, ist bemerkenswert, aber auch
zu erklären. Amerika war reif für Trump. Die beiden Großkrisen der
vergangenen Dekaden, der 9/11-Terror und die Implosion der Wirtschaft
2008, haben eine Spaltung beschleunigt, die ihren Ursprung im
politischen Umgang der beiden Lager in Washington miteinander hat. Erst
starb der Anstand, dann der Kompromiss, am Ende die Wahrheit. Die
Parteien trugen bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Identitätskrieg
in die Gesellschaft, munter flankiert von Medien aller Art, die im
Zwist ihr Geschäftsmodell gefunden hatten.
9/11
trug zu einem Gewaltschub bei - in Ausrüstung und Auftritt aller
Sicherheitsdienste, aber auch im Bedürfnis nach individueller
Bewaffnung, befördert durch Popkultur und Hollywood. 2008 führte zum
wirtschaftlichen Niedergang großer Gesellschaftsschichten, die
ausgestoßen waren vom amerikanischen Wohlstandsversprechen, empfänglich
für die Botschaft der Verführer, wie Trump einer ist. Tief sitzende
rassistische Muster, die Vorurteile über die Welt da draußen, die
Überforderung mit der heterogenen Gesellschaft, all das führt nun zum
großen Bruch. All das entlädt sich nun auch in Gewalt.
Donald Trump lebt von diesem Bruch. Seine Macht
verdankt er der Spaltung. Er hat demokratische Normen schwer beschädigt.
Die Kontrollinstanzen Parlament und Justiz funktionieren nur noch
eingeschränkt, seine Partei unterstützt willfährig jeden Regelverstoß.
Große Teile der Bürokratie sind ausgehöhlt: das Außenministerium,
Umwelt- und Energiebehörden, die Sicherheitsapparate CIA und FBI. Nun
legt der Präsident die Axt an die lokalen Polizeiapparate, indem er
einen ideologischen Treueschwur provoziert.
Bleibt
noch das Militär, das bisher allen Versuchen der Vereinnahmung
widerstanden hat. Doch dann kamen der Auftritt von Generalstabschef Mark
Milley im Kampfanzug und an der Seite Trumps im Tränengasnebel, die
Machtdemonstration der Nationalgarde mit ihren tief fliegenden
Hubschraubern über Washington: Es sind diese Szenen, die Anlass zu
höchster Sorge geben müssen. Totalitäre Regime entstehen, wenn sie über
ausreichende Medienmacht verfügen, wenn Parlament und Justiz mundtot
sind und wenn Militär und Polizei unter die Kontrolle des Mannes an der
Spitze gebracht wurden.
George Floyds Tod markiert
nun den Beginn der letzten und entscheidenden Phase im Überlebenskampf
der amerikanischen Demokratie, deren Regeln sich Donald Trump niemals
beugen wird. Fragt sich also, ob sich die Demokratie dem Präsidenten
beugen muss, welchen Schaden sie am Ende nimmt - und ob sie gar an
ihm zerbricht.
Am 3. November werden die Amerikaner
die wohl wichtigste Wahl in ihrer Geschichte treffen. Vor Trump hat
kein Präsident das Land in eine derart existenzielle Krise getrieben.
Eine Gesellschaft von 330 Millionen Menschen braucht ein Symbol der
Einheit an ihrer Spitze. Trump ist das Symbol des Bruchs. Man muss
inzwischen Angst um Amerika haben.
© SZ vom 12.06.2020
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